Der deutsche Journalist Armin Himmelrath hat wissenschaftliche Grundlagen aus zum Thema Hausaufgaben untersucht und dabei Erstaunliches festgestellt.
Herr Himmelrath, Sie lehnen Hausaufgaben ab. Warum?
Es gibt über 500 Jahre alte Schulverordnungen, die sich mit dem Thema Privatarbeit befassen, denn so hiessen Hausaufgaben damals.
In diesen wird davon ausgegangen, dass zusätzliches Lernen etwas bringt. Also habe ich mir die Wissenschaft angeschaut, die sich in den vergangenen 130 Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Dabei habe ich etwas Erstaunliches festgestellt: Es gibt keine einzige Studie, welche die Wirksamkeit von Hausaufgaben belegt.
Wirklich?
Es gibt wirklich nur ganz, ganz dünne Zusammenhänge zwischen Hausaufgaben und Lernerfolg, die manchmal hergestellt werden.
Aber diese sind keinesfalls so zu bewerten, dass Hausaufgaben per se einen Bildungswert oder einen Zuwachs an Kenntnissen bei Schülern bewirkten.
Hausaufgaben seien wichtig für die Repetition des behandelten Stoffes, heisst es.
Ja, bloss fehlen die Beweise dazu. Sie beschwören nichts anderes als die Festigung des Erlernten, ohne dass es Belege dafür gibt.
Dennoch gehören für sehr viele Menschen unter uns Hausaufgaben einfach irgendwie dazu. Sie sind im kollektiven Gedächtnis der Menschen so verankert, dass jeder denkt, das müsse so sein.
Und auch Eltern gingen mal zur Schule, und die sagen dann, die eigene Hausaufgabenzeit habe ja wohl niemandem geschadet. Das ist dann so etwas wie ein Totschlag-Argument.
Hausaufgaben sind oft Stoff für Konflikte in der Familie.
Absolut. Hausaufgaben verursachen mehr Probleme als Lösungen, das sagen sogar Lehrpersonen und Studenten im Lehramt in Internetforen.
Schon 1982 urteilte ein deutscher Lehrer aus Flensburg, Hausaufgaben seien bloss mit einem «Riesenaufwand betriebene, sinnlose Handgelenksübungen der Kinder».
Sehr, sehr viele Eltern beklagen die Belastung durch die Hausaufgaben. Sie ärgern sich auch über die Disziplinierungsmassnahmen, zu denen sie sich gezwungen fühlen, damit die Kinder die Aufgaben erledigen.
Das einzig Positive, das sie den Hausaufgaben abgewinnen, ist, dass sie den Eindruck haben, damit noch ein wenig im Bilde zu sein, was ihr Kind in der Schule gerade so lernt.
Sie fordern, dass Lehrpersonen der Hausaufgabendoktrin entgegentreten?
Ja. Viele Lehrpersonen sind sich bewusst, dass die eigene Hausaufgabenpraxis zwar nicht den Worten, wohl aber dem Sinn der gesetzlichen Vorgaben widerspricht.
Das ist oft der Anlass, über kleinere Veränderungen im Schulalltag nachzudenken.
Wie könnten solche Veränderungen aussehen?
In einem ersten Schritt mit dem Lehrerkollegium schauen, wer wann wie viele Hausaufgaben erteilt.
Oder mit den Schülern darüber diskutieren, wie sie das Thema Hausaufgaben empfinden. In einem zweiten Schritt die Hausaufgaben reduzieren. Das kann sein, nur noch an einem oder zwei Tagen Hausaufgaben vorzusehen.
In einem dritten Schritt könnten Lehrpersonen aus Hausaufgaben Schulaufgaben machen und individuelle Lernzeiten in den Schulstunden einplanen.
Darin werden Schülern gemäss ihrem Leistungsniveau individuelle Aufgaben gegeben, die sie im Unterricht erledigen – selbständig, aber unter Supervision der anwesenden Pädagogen.
Was schlagen Sie weiter vor?
Es könnte einen Aufgabenpool geben, aus dem sich die Schüler bedienen.
Sie können diese Aufgaben dann in der Klasse so lösen, wie es ihrer Lernstruktur entspricht: manche alleine in Stillarbeit, andere im Team mit anderen Kindern, wieder andere holen sich vielleicht Hilfe bei der Lehrperson.
Wichtig ist ein gutes Feedback – und das muss individuell sein, also wirklich auf jeden einzelnen Schüler eingehen.
Es ist nie zu spät für eine bessere Schule. Das Ende der Hausaufgaben könnte ein Anfang sein.
Armin Himmelrath aus Köln ist freier Bildungs- und Wissenschaftsjournalist und Moderator. Er unterrichtet als Lehrbeauftragter an mehreren Universitäten und hat zahlreiche Bücher zu Bildungsthemen verfasst.
Quelle
Dieser Artikel stellt eine gekürzte Version des Textes aus dem ElternMagazin Fritz + Fränzi 04/17 dar. Hier das Magazin bestellen.