Hausaufgaben sorgen in vielen Familien regelmässig für Frust und Ärger. Was bringen sie wirklich? Warum schafft man sie nicht einfach ab? Eine Annäherung an ein hoch emotionales Thema.

Dienstagnachmittag, 15 Uhr 15

Luis, 11 Jahre alt, kommt nach Hause und setzt sich gleich an den Schreibtisch in seinem Zimmer. Er hat Hausaufgaben. Nach 20 Minuten ist er fertig. «Hausaufgaben stressen mich selten», sagt Luis.

Es gibt sie also, jene Kinder, für die Hausaufgaben eine Fingerübung sind. Für viele anderen sind sie ein lästiges Übel, eine pädagogische Gängelei, ein Reizthema.

Die Vizepräsidentin des Schweizer Schulleiterverbands, Lisa Lehner, plädiert für eine Primarschule ohne Hausaufgaben. Verbandspräsident Bernard Gertsch, spricht sich für Änderungen aus. Hausaufgaben sollten im Sinne der Chancengleichheit zu Schulaufgaben werden.

Schüler, die sich zu Hause an niemanden wenden könnten, seien nämlich durch klassische Hausaufgaben benachteiligt. 2018 gaben diverse Gemeinden im Kanton Luzern und Bern bekannt, die Hausaufgaben abzuschaffen.

Die Schule ohne Hausaufgaben ist kein Hirngespinst. Es gab sie schon mal – nämlich im Kanton Schwyz. 1993 entschloss sich das Bildungsdepartement, alle Hausaufgaben abzuschaffen.

Die Lerninhalte seien fortan in die Unterrichtszeit zu integrieren, die Wochenstundenzahl wurde um eine Stunde erhöht. Das machte die Kinder glücklich, nicht aber deren Eltern.

Nach nur vier Jahren wurde der Versuch beerdigt – auf Druck der Eltern.

Kontrollmittel

Eltern sind tatsächlich weniger hausaufgabenkritisch als erwartet. Viele befürworten Hausaufgaben im Sinne eines Kontrollinstrumentes. «So weiss ich ungefähr, wo mein Sohn steht», sagt eine Mutter.

Manche belassen es nicht dabei. Eine Studie des deutschen Pädagogen Thomas Hardt zeigt, dass Eltern ihren Kindern regelmässig bei den Hausaufgaben helfen. Sie wollen, dass diese gut erledigt werden – aus Sorge, ihr Kind könnte im Bildungswettbewerb nicht bestehen.

So bewerten 56 Prozent der Eltern die Tatsache, dass ein Kind pro Tag weniger als eine Stunde Hausaufgaben erledigen muss, als Indiz dafür, dass dieses Kind von der Schule nicht ausreichend gefordert wird.

Das nur der elterlichen Bildungsbeflissenheit zuzuschreiben, wäre aber falsch, meint der Bildungsjournalist und Buchautor Armin Himmelrath.

«Eltern wird seit Jahr­zehnten eingetrichtert, dass das häusliche Pauken der Reifung und Bildung der Kinder dient.»

Tatsächlich sind Hausaufgaben schon lange ein pädagogisches Instrument. Bereits in Schulordnungen aus dem 15. Jahrhundert dienten Hausaufgaben dazu, Kindern das selbständige Arbeiten einzuüben und den in der Schule behandelten Stoff eigenständig nachzuarbeiten.

Nahezu der gleiche Wortlaut findet sich heute in einem Merkblatt des Kantons Zürich zur Volksschule wieder:

«Kinder lernen durch Hausaufgaben selbständig zu lernen, sich die Arbeitszeit einzuteilen und Verantwortung für das Lernen zu übernehmen.»

Solche Formulierungen zu den Hausaufgaben gehen von einem optimalen Zustand aus, der mit der heutigen Realität oft wenig zu tun hat.

Die Gesellschaft hat sich radi­kal verändert. So sagt Jürg Brühlmann von der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH in der «NZZ»:

«Viele Kinder können die Aufgaben zu Hause kaum erledigen, weil sie kein eigenes Zimmer haben, der Fernseher läuft oder die Geschwister stören.»

Mit Hausaufgaben bürdeten Lehrpersonen den Eltern die Verantwortung für das Gelingen der kindlichen Schullaufbahn in einem Mass auf, wie das erziehungswissenschaftlich aber kaum seriös zu begründen ist, sagt Achim Himmelrath.

Zumal umstritten ist, ob Hausaufgaben etwas bringen. Neue Studien zeigen: Manchen schaden sie sogar.

Der neuseeländische Pädagoge John Hattie trug Befunde aus über 50’000 Studien mit mehr als 80 Millionen Schülern zusammen. Er wollte herausfinden, welche Voraussetzungen und Bedingungen Kindern beim Lernen helfen.

Quelle

Dieser Artikel stellt eine gekürzte Version des Textes aus dem ElternMagazin Fritz + Fränzi 04/17 dar. Hier das Magazin bestellen.

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